Daenerys - sexistisch ermordet oder verdient hingerichtet?

Daenerys – sexistisch Ermordete oder verdient Hingerichtete? Eine Interpretation

 

Game of Thrones ist endlich an sein Ende gekommen und die Wogen schlagen hoch; ausgerechnet Daenerys, Publikumsliebling, Mutter von Drachen und Powerfrau brennt eine ganze Stadt nieder und wird dafür am Ende von ihrem Liebhaber Jon Snow erdolcht.

 

Unerhört!, ruft die eine Seite der Fangemeinde. George R.R. Martin konnte also wohl doch keine starken Frauen an der Spitze sehen und hat Deanerys deshalb komplett gegen ihre bisherige Charakterentwicklung ins Böse fallen und ermorden lassen.

 

Dass Daenerys böse wird, war schon in der Handlung angelegt, meint dagegen die andere Seite. Jon Snow ist der vorhergesagte Azor Azahi, der die Welt vor einer dunklen Macht schützen muss und zu dieser dunklen Macht ist nun einmal Daenerys geworden. Außerdem war ihr Ende in den Visionen, die sie gesehen hat (der Eiserne Thron im Schnee) bereits vorausgedeutet.

 

Ja, dagegen die eine Seite, aber eine Vorausdeutung ersetzt die Charakterentwicklung nicht! Daenerys befreit Sklaven, ist erschüttert über den Tod eines einzigen unschuldigen Mädchens, das Drogon frisst, kämpft mit ihren Armeen gegen die Untoten und dann, auf einmal, brennt sie eine ganze Stadt nieder mit tausenden Unschuldiger? Das macht alles keinen Sinn.

 

Schon, so die andere Seite, aber wie Tyrion bereits gesagt hat; Daenerys hat zuvor niedergebrannt und ermordet, zwar Sklavenhändler und böse Menschen, aber immer zu ihrem Nutzen.

 

Ja und?, dagegen die eine Seite, sie hat es aber nicht für sich getan, sondern für die Menschen, die sie befreite.

 

Alles gute Argumente, doch es gibt eines, das beide Seiten übersehen: Game of Thrones ist keineswegs nur ein Herr der Ringe-Verschnitt, in dem die zentrale Botschaft darum kreist, dass Macht korrumpiert und der Eiserne Thron oder das Streben danach tut das nun mal absolut. All dies spielt natürlich eine wichtige Rolle, doch was Game of Thrones von Herr der Ringe unterscheidet, ist die Zweideutigkeit und Unwägbarkeit der Welt, in der es spielt. Was tut man aber in einer Welt, die von moralischen Zweideutigkeiten geprägt ist? Was tun, wenn man einen Eid geschworen hat, den König zu schützen, dieser aber komplett gaga ist? Was, wenn man eine Wildlingsfrau liebt, aber eigentlich bei der Nachtwache ist? Oder, wie es auch mehrfach in der Serie ausgedrückt wird: Was kommt an erster Stelle, Pflicht oder Liebe? Aus so vielen unterschiedlichen Perspektiven wie Game of Thrones geschrieben ist, so viele Ansichten darüber, was richtig und was falsch ist, scheint es zu geben. Game of Thrones gibt damit eine Welt wieder, die aus den moralischen Fugen geraten ist; eine Welt, wie die, in der jeder von uns leben muss. Die Lösung scheint erstaunlich einfach: Jeder Charakter, der seinen eigenen Überzeugungen nach handelt, überlebt, alle anderen sterben. Natürlich gilt dies nur für die Charaktere, die eine eigene Stimme im Buch bekommen. Von den anderen wissen wir schließlich nicht, was sie denken. Die Beispiele sind zahlreich: Ned Stark, der trotz seines Mantras: Pflicht vor Liebe! einen Meineid darauf schwört, dass Joffrey der rechtmäßige Thronfolger ist, um seine Töchter zu schützen und der daraufhin genau von diesem hingerichtet wird.

 

Oder Robb Stark, der, obwohl er schwört eine von Walder Freys Töchtern zu ehelichen, den Bund mit einer anderen schließt und daraufhin prompt vom empörten Walder ermordet wird.

 

Gegenbeispiele schließen z.B. Catelyn Stark ein, die verspricht, Walder Freys Sohn die Kehle durchzuschneiden, wenn er Robb nicht gehen lässt und dies dann auch so tut (im Buch wird sie zwar getötet, steht aber als Stone heart wieder auf).

 

Handelt einer der Charaktere zwar gegen seine Prinzipien, aber nur ein bisschen oder führt er die Handlung nicht komplett aus, stirbt er einen „kleinen“ Tod, wie z.B. Sansa, die zwar nicht lügt, aber auch nicht die Wahrheit darüber sagt, warum Aryas Wolf Joffrey angegriffen hat, und deren Wolf Lady als Konsequenz hingerichtet wird. Oder Jon Snow, der gegen seinen Schwur, alle familiären Bande zu vergessen, Sansa zu Hilfe eilen möchte und von seinen eigenen Waffenbrüdern hingerichtet wird, dann aber wieder aufersteht.

 

Wie also ist das bei Daenerys? Hat sie gegen ihre eigenen Prinzipien gehandelt, als sie Kings Landing niederbrannte? Gewiss. Allerdings begann ihr Abstieg schon viel früher. Um zu verstehen, was genau Danys Fall ins Böse verursachte, muss man zunächst die Prinzipien, nach denen sie handelt, verstehen. Was also sind Danys Ziele von Anfang an? Woran glaubt sie? Danys erstes und wichtigstes Ziel ist zweifellos und beinah von Anfang an, den Eisernen Thron zurückzugewinnen, der, wie sie glaubt, rechtmäßig den Targaryens und damit ihr zusteht. Dieses Ziel ist es, dem sie alles andere unterordnet und wer könnte es ihr verübeln? Schließlich herrschten die Targaryens seit undenklichen Zeiten über Westeros und wurden schließlich brutal ermordet. Alles, was Dany ertragen muss, ist eine direkte Folge ihres Exils. Sie möchte Gerechtigkeit für die von ihr erlittenen Leiden, man könnte auch sagen: Rache.

 

Alles kein Problem, schließlich hat sie tatsächlich den stärksten Anspruch auf den Eisernen Thron, der noch von ihrer Fähigkeit gut und gerecht zu herrschen zementiert wird. Ihr Fall beginnt viel später, um genau zu sein, in dem Moment, in dem sie erfährt, dass Jon ein Targaryen ist. Warum? Nun, wenn Dany tatsächlich dem folgen würde, was sie glaubt, müsste sie den Thron eigentlich allem Recht nach Jon überlassen. Schließlich hatte sie ihn bisher unter der Annahme beansprucht, die letzte Überlebende der Targaeryens zu sein. Das tut sie aber nicht. Und damit hat Dany ihren eigenen Wertevorstellungen nach ihr Recht verwirkt, auf dem Eisernen Thron zu sitzen. Sie ist selbst zum Verräter an dem wahren Thronerben geworden. Ab diesem Zeitpunkt zeigt sich die dunkle Seite ihrer Handlungen – sie hat die Tarlys bei lebendigem Leib verbrannt, weil diese das Knie nicht vor ihr beugen wollten, sie nicht als rechtmäßige Herrscherin anerkennen wollten. Wenn sie nun aber gar nicht die rechtmäßige Herrscherin ist, was dann? Nach dem Sieg über den Eiskönig beobachtet Dany wie Jon von den Nordmännern als rechtmäßiger König gehandelt wird. Er sei auf einem Drachen geritten, er sei ein Held, er sei von den Toten wiederauferstanden. Und zum ersten Mal seit ihrem Aufstieg bekommt Daenerys nicht die beinah abgöttische Bewunderung, an die sie sich gewöhnt zu haben scheint. Stattdessen wird diese dem wahren Thronerben zuteil.

 

Als Daenerys also gegen ihr Versprechen, das sie Tyrion gegeben hat, handelt und Kings Landing niederbrennt, nachdem bereits die Glocken läuten, sich an den Menschen von Westeros rächt, die ihre Familie verraten haben, ist dies kein großer Schritt mehr. Schließlich hat sie bereits gegen das gehandelt, woran sie bisher am meisten geglaubt hat; sie hat den rechtmäßigen Thronfolger verraten, indem sie ihm nicht den Thron gab, hat ihn sogar zum Schweigen zu verpflichten versucht. Als die Zeit kommt, als Danys sich zwischen ihren eigenen Interessen und denen anderer entscheiden musst, wählt sie die ihren.