Wer war eigentlich Kvothes Mutter?

Wer war eigentlich Kvothes Mutter?

 

 Es gibt vieles, was wir über Kvothe, den geheimnisvollen Protagonisten von „Der Name des Windes“ nicht wissen, und eines seiner Geheimnisse betrifft seine Abstammung. Natürlich erfährt man, wer seine Eltern waren: Kvothe, Sohn des Arliden, ein Mitglied der Edemah Ruh und Laurian, seine Mutter, über die er, abgesehen davon, dass sie dunkelhaarig ist, folgendes zu berichten weiß:

 

[…] my mother was a noble before she was a trouper. She told me my father had lured her away from a 'miserable dreary hell' with sweet music and sweeter words. (TNOTW, Kap. 8)

 

Wenn Kvothes Mutter also von adliger Abstammung ist, stellt sich die Frage, zu welcher Adelsfamilie sie genau gehört. Es gibt verschiedene Adelsfamilien, deren Mitgliedern wir im Laufe der Geschichte begegnen, aber die zwei wichtigsten Mitglieder (abgesehen von Ambrose natürlich) sind mit Sicherheit der Maer und Melua Lackless, die der vielleicht ältesten Adelsfamilie angehört, der wir im Laufe der Geschichte begegnen:

 

The Lackless family is old. [...] Much older then the house of Alveron. A thousand years ago the Lackless family enjoyed a power at least as great as Alveron's. Pieces of what are now Vintas, Modeg, and a large portion of the small kingdoms were all Lackless lands at one point. [...] The family was called Loeclos or Loklos, or Loeloes. They all translate the same, Lockless” (TWMF, Kap. 62)

 

weiß Claudicus, der Alchemist des Maer zu berichten und wenig später erfährt Kvothe aus einem Geschichtsbuch, das der Maer ihm geliehen hat, folgendes:

 

Though no family can boast a truly peaceful past, the Lacklesses have been especially ripe with misfortune. Some from without: assassination, invasion, peasant revolt, and theft. More telling is misfortune that comes from within: how can a family thrive when the eldest heir forsakes all family duty? Small wonder they are often called “Luckless” by their detractors. (TWMF, Kap. 64)

 

Als Kvothe Meluan Lackless das erste Mal bei einem formalen Diner trifft, erfährt er, dass sie „intelligent, attractive and well-spoken“ (TWMF, Kap. 67) ist. Außerdem hasst sie die Edemah Ruh, was, wie man später erfährt, damit zusammenhängt, dass ihre jüngere Schwester, Netalia Lackless, mit einer Gruppe Schauspieler durchbrannte. Vielleicht noch wichtiger: Ihr Gesicht kommt Kvothe bekannt vor, ohne dass er sagen kann, woher er genau es kennt, so sehr, dass er sich nicht davon abhalten kann, sie anzustarren, als er sie das erste Mal trifft. Die Vermutung drängt sich auf, dass besagte Netalia Lackless niemand anderes ist als Kvothes Mutter, was auch erklären würde, weshalb Kvothe ihr Gesicht so bekannt vorkommt. Wie viele adlige Damen brennen schließlich mit einem Schauspieler durch?

 

Beinah zur Sicherheit wird diese Vermutung, wenn man zwei Reime in Betracht zieht, die in der Geschichte zitiert werden: Einen Kinderreim, den Kvothe unbedacht als Zwölfjähriger wiederholt und ein Lied, das sein Vater selbst dichtete.

 

'Seven things has Lady Lackless

 

Keeps them underneath her black dress

 

One a ring that's not for wearing

 

One a sharp word, not for swearing

 

Right beside her husbands candle

 

There's a door without a handle

 

In a box, no lid or locks

 

Lackless keeps her husband's rocks

 

There's a secret she's been keeping

 

She's been dreaming and not sleeping

 

On a road, that's not for travelling

 

Lackless likes her riddle ravelling.' (TNOTW, Kap. 11)

 

Als Laurian den Kinderreim hört, den Kvothe unbedacht vor sich hersagt, ist sie nicht erfreut und nicht nur aufgrund des sexuellen Inuendos, sondern, weil es sich bei Lady Lackless um eine echte Person handelt. Tatsächlich ist Laurian selbst Lady Lackless, wenn die Vermutung richtig ist, dass sie Melua Lacklesses Schwester ist.

 

Der zweite Reim, den Kvothes Vater selbst gedichtet hat, trägt Kvothe Simmon und Will vor, als sie von einem Trinkabend kommen:

 

Dark Laurian, Arliden's wife,

 

Has a face like the blade of a knife

 

Has a voice like a pricklebrown burr

 

But can tally a sum like a moneylender.

 

My sweet Tally cannot cook.

 

But she keeps a tidy ledger-book

 

For all her faults, I do confess

 

It's worth my life

 

To make my wife

 

Not tally a lot less … (TNOTW, Kap. 36)

 

Kvothe zufolge trug seinem Vater dieses Lied eine Nacht unter dem Wagen ein, aber nicht wegen der weniger als flatterhaften Beschreibung, sondern aus einem anderen Grund: „It was the meter. She hated the awful meter.“ (TNOTW, Kap. 36). Es ist schwer zu glauben, dass Laurian ihren Mann eine Nacht unter dem Wagen verbringen ließ, weil sie den Rhythmus eines Liedes nicht ausstehen konnte. Was also ist so besonders am Versmaß?

 

Der Rhythmus des Gedichtes ist für die ersten vier Zeilen ein vierhebiger Daktylus, der in den nächsten fünf Zeilen (wenn man die 8. und die 9. Zeile als eine zählt) von einem vierhebigen Trochäus abgelöst wird. Das Gedicht ist damit recht regelmäßig. Der Rhythmus wird gegen Ende hin immer langsamer. In der letzten Zeile wird jedes einzelne Wort betont, abgesehen von dem „a“. Tatsächlich ist die letzte Zeil ein kleveres Homonym für den wahren Namen Laurians: Netalia Lackless. In Zeile fünf wurde sie bereits als „my sweet Tally“ bezeichnet, was ein Spitzname für Netalia sein könnte. Wenn man hinzunimmt, dass Kvothes Vater für Dichter des geschriebenen Wortes nichts als Verachtung übrig hatte und selbst ein Musiker, also ein Mann des gesungenen und damit ausschließlich gesprochenen Wortes war, macht die Interpretation der letzten Zeile als Homonym sogar noch mehr Sinn und gibt ihr eine ganz andere, sinistere Bedeutung: Arlid hat bei der Entführung Netalias sein Leben aufs Spiel gesetzt, um sie zu seiner Frau zu machen.

 

Es scheint so, als sei Kvothe tatsächlich kein einfacher Edemah Ruh, sondern der Neffe von Meluan Lackless und als fließe in seinen Adern das Blut einer der ältesten Adelsfamilien des Reiches, die weit genug zurückgeht, „to rival the royal line of Modeg in its antiquity …“ (TWMF, Kap. 64). Was für Implikationen hat das für den Rest der Geschichte? Zum einen ist die Lackless-Familie für ihre Glücklosigkeit bekannt, etwas, das für den weiteren Verlauf der Geschichte nichts Gutes verheißt. Zum anderen scheint es so, als sei Kvothe Teil einer Prophezeiung, die die Lackless Familie betrifft:

 

Seven things stand before

 

the entrance to the Lackless door.

 

One of them a ring unworn

 

One a word that is forsworn

 

One a time that must be right

 

One a candle without light

 

One a son who brings the blood

 

One a door that holds the flood

 

One thing tight-held in keeping

 

Then comes that which comes with sleeping. (TWMF, Kap. 180)


rezitiert ein Junge, den Kvothe auf der Straße nach Severen trifft, kurz bevor er Felurians Lied hört und ins Reich der Fae wechselt. Der Reim weist erstaunliche Ähnlichkeit zu dem auf, den Kvothe selbst als Junge vor sich hingesagt hatte. Wieder werden sieben Dinge aufgezählt, diesmal vollständig, während in dem ersten Reim nur der Ring, das Wort, die Kerze, die Tür und das Kästchen genannt werden und natürlich der Traum, den Lady Lackless träumt, ohne zu schlafen. Neu ist der Zeitpunkt, der stimmen muss und der Sohn, der das Blut bringt. Könnte Kvothe mit dem Sohn gemeint sein? Wenn seine Mutter wirklich Netalia Lackless ist, dann ist er der einzige männliche Erbe der Lackless-Familie, der Sohn, der das Lackless-Blut mit sich bringt.

 

In dem Geschichtsbuch, das Kvothe beim Maer liest, wird die entscheidende Frage gestellt: „How can a family thrive when the eldest heir forsakes all family duty?“ Sollte er wirklich der älteste, da einzige Sohn und damit Erbe der Familie sein, so hat er wirklich, wenn auch nicht wissentlich die Pflichten, die er seiner Familie gegenüber hat, aufgegeben. Wichtiger noch, die Frage steht im engen Zusammenhang mit der Glücklosigkeit der Lackless. Wenn Kvothe Lacklessblut hat, so ist es wahrscheinlich, dass sich ihn ihm die angedeutete Prophezeiung erfüllt: Er ist der Sohn, dem es gelingen wird, die verschlossenen Türen der Lackless-Familie zu öffnen und der damit vielleicht ihren und damit den seinen Untergang herbeiführt.